Wurde die „Aura des Authentischen“ von Martin Sabrow als „Mythos der Moderne“ bezeichnet, so ließe sich die Aura des Virtuellen als Mythos des digitalen Zeitalters qualifizieren (Sabrow 2016, 30). Die massenhafte Digitalisierung von historischen Zeugnissen und deren online-Verfügbarkeit im Internet hat der Sehnsucht nach dem Authentischen, dem Ursprünglichen oder dem Echten eine neue Wende beschert. Auch wenn der Begriff der Digitalität explizit auf die Verschränkung und Vernetzung analoger und digitaler Techniken und Lebenswelten verweist (Stalder 2016), dominiert im allgemeinen Sprachgebrauch die Gleichsetzung des Digitalen mit dem „Nicht-Materiellen“, dem „Virtuellen“ und damit „Nicht-Realen“. Die Allgegenwart des Digitalen – sowohl materiell (etwa in Form von Smartphones oder Tablets) als auch symbolisch (d.h. als gesellschaftlich dominante sozio-technische Imagination) – verstärkt die Sehnsucht nach dem vermeintlich Authentischen, sei es im Bereich der Kultur, der Technik oder der historischen Erfahrung. Der Übergang vom „age of scarcity“ zum „age of abundance“ (Rosenzweig 2003) hat selbst auf populärkultureller Ebene zu einer Renaissance des Analogen geführt – „retromania“ und „technostalgia“ sind zu Schlagworten dieser Bewegung avanciert (Reynolds 2011; Boym 2002).

Ziel dieses Beitrages ist es, den Begriff der Authentizität als relationalem Konzept (Saupe 2017, 62) auf den Gegenstand der Digitalität zu übertragen, der sich selbst durch die Dualität von digitaler Materialität und dem Digitalen als symbolische Form kennzeichnet. Im Bereich des Symbolischen muss die Frage nach der Authentizität des Digitalen in der Tradition der heuristischen und epistemologischen Debatten um „Wahrheit“, „Glaubwürdigkeit“ und „Originalität“ von historischen Quellen oder Zeugnissen verortet werden. Dagegen müssen Fragen der materiellen Authentizität, also nach „Echtheit“, „Integrität“, „Exaktheit“ oder „Beständigkeit“ im Zeichen von technischen Authentifizierungsprozessen und institutionellen Authentisierungsdiskursen diskutiert werden. Beide Dimensionen sollen im Folgenden kurz skizziert werden, um anschließend auf Fragen der Bedeutung des Digitalen für die historische Imagination und Erfahrung sowie der Aura digitaler Repräsentationen von Vergangenheit einzugehen.

Show this publication on our institutional repository (orbi.lu).