Unser Beitrag beschäftigt sich mit der Doppelfunktion, die Hermann Schenck in den 50er und 60er Jahren bekleidete: war er doch als VDEh-Vorsitzender (1950-1968) der eisenhüttenmännischen Praxis verpflichtet, während er als Professor an der RWTH Aachen (1951-1968) die „aus dem Stande der Empirie zur Wissenschaft“ erhobene Eisenhüttenkunde vertrat. In seinen zahlreichen Reden und Aufsätzen thematisierte Schenck selbst immer wieder kehrend die schwierige Wechselwirkung von Theorie und Praxis.
In seinem Amt als Vorsitzender machte sich Schenck die „Wahrung der Lebensfähigkeit [der] Eisenindustrie zur ersten Pflicht“ und ordnete damit die Wissenschaft dem unmittelbaren ökonomischen Nutzen unter. Als Mann der Praxis konstatierte er zudem eine weitgehende Sättigung wissenschaftlicher Durchdringung der Metallurgie von Eisen und Stahl und prognostizierte, dass es von dieser Seite her keine fundamentalen wissenschaftlichen Durchbrüche mehr geben werde. Vielmehr machte er sich für eine anwendungsorientierte Forschung stark, die den ökonomischen Zwängen folgend vorwiegend Fragen der betrieblichen Rationalisierung behandeln sollte.
Als Mann der Wissenschaft plädierte er hingegen leidenschaftlich für den Erhalt und den Ausbau der eisenhüttenkundlichen Grundlagenforschung: man dürfe keine kurzsichtigen Nützlichkeitserwartungen an diese stellen. Stattdessen ging Schenck davon aus, dass die Metallurgie der Hüttenprozesse noch lange nicht beherrscht werde und deshalb allein ihre naturwissenschaftliche Erforschung die Fabrikationssicherheit in Zukunft gewährleisten könne.
Als vermittelnde Position schlug Schenck unter anderem die Einbettung neuer Experten in die Betriebsorganisation vor, die – wissenschaftlich geschult – ausschließlich für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die betriebliche Praxis zuständig sein sollten. Als Kehrseite hätten die Betriebsleiter einen Teil ihrer Entscheidungskompetenzen aufzugeben. Einen weiteren Weg sah Schenck im Aufbau neuer betriebs- und sogar länderübergreifender Forschungsinstitute, die zentral und damit rationeller arbeiten sollten, um mit geringerem finanziellem Einsatz gleichwohl „ein genügendes Quantum geistiger, wissenschaftlicher Potenz, Erfindungsgabe und Phantasie zur Verfügung“ zu stellen. Eine solche Initiative stellte für ihn das im Oktober 1967 gegründete International Iron and Steel Institute dar.
Damit ist das zu untersuchende zeitliche und inhaltliche Spannungsfeld beschrieben, in dem sich der Akteur Hermann Schenck in seinen verschiedenen Rollen bewegte. Die Quellenbasis der Untersuchung bilden zentrale Texte Schencks, die mit Blick auf ihre mitunter widersprüchliche Wissenschaftsprogrammatik befragt werden.
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